Geschichte der Morez-Uhr  (Autor Emil Hänseler)


Von der Turm- zur Wanduhr

Es war etwa Mitte des 17. Jahrhunderts. Die Turmuhr des Kapuzinerklosters von Saint Claude im Jura stand still. Der Küster wusste nicht mehr, wann er zur Messe läuten sollte. Ignace Mayet, der zusammen mit seinen Brüdern in Morbier eine Schmiede betrieb und als tüchtiger Handwerker galt, wollte die Klosteruhr nicht reparieren. Sie sei zu alt, zu abgenützt und ungenau. Statt dessen zeichneten die Mayets die Räder, Wellen und Hebel massstabgerecht auf und bauten eine neue Eisenuhr zusammen. Die lief ausgezeichnet. Ermutigt durch ihren Erfolg, begannen sie weitere Grossuhren für öffentliche Gebäude zu schaffen. Die Idee, Uhren für Wohnräume herzustellen, wurde offenbar erst mit der Entdeckung des Pendels als Gangregler durch den Holländer Huygens in die Tat umgesetzt. Im Hochjura dürfte man von dieser umwälzenden Neuerung im Uhrenbau zwischen 1670 und 1680 erfahren haben. Auch die Uhrmacher-Familie Mayet machte sich diese Erfindung zunutze. Die "Morbier" war geboren. 

Die Uhrenherstellung blieb nicht auf Morbier konzentriert, sondern breitete sich rasch aus. Umschlagplatz für den Handel war das benachbarte Städtchen Morez im französichen Département Jura. Seine Lage an der Strasse Genf-Paris bot günstige Voraussetzungen für den Vertrieb der Uhren in Frankreich und den Export nach Italien und in die Schweiz. Ausser im Jura gab es Uhrmachermeister auch in den Départements Doubs und Haute Saône. Diese drei Départements und ein Teil von Ain bilden "La Franche Comté" - daher der Name "La Comtoise". Was wir in der Deutschschweiz als Morez-Uhr bezeichnen, nennen die Welschen und Franzosen "La Comtoise" oder "La Morbier". 

Eine der ältesten mit Jahrzahl und Uhrmacher gekennzeichneten Morez-Uhren scheint eine Uhr mit Zahlenreif im Uhrenmuseum in Genf zu sein. Sie trägt die Jahrzahl 1693 und den Namen des Uhrmachers "Moyse Golay du Chenit". Le Chenit ist Teil des Vallée de Joux. Dieses Gebiet liegt in der (heutigen) Schweiz, fünf Kilometer von der französischen Grenze (Département Doubs) entfernt.

Seitenanfang  

Vom Schmied zum Uhrmacher

Im Jura hatten die Menschen ein karges Leben. Der harte Winter dauerte fünf bis sechs Monate und hielt die Bewohner in den Häusern fest. Die Frauen spannen Wolle und selbst gezogenen Hanf und nähten ihre Alltagskleider und Sonntagstrachten. Einige Sous verdienten sie mit dem Klöppeln von Spitzen aus Baumwolle und Seide. Die Männer besorgten die Kühe und Ziegen. Ausserdem arbeiteten sie im Wald. Geübt im Umgang mit Holz fertigten sie daraus Gegenstaende für den täglichen Gebrauch: Bottiche, Becher, Näpfe, Schalen, Schüsseln und Kellen. Um das reichlich vorhandene Holz an Ort zu nutzen, betrieben sie Köhlereien. Mit der gewonnenen Holzkohle unterhielten sie Essen, wo sie Werkzeuge aus Eisen herstellen konnten. Mit zunehmender Erfahrung entwickelten sie grosse Fertigkeit in der Metallbearbeitung. Diese wiederum kam ihnen in der Fertigung von Eisenuhren zugute. Die ersten Meister waren ...  

Seitenanfang  

Bauern-Uhrmacher

Sie verstanden sich aufs Schmieden, Drehen und Verzahnen der Räder, sowie aufs Montieren und Polieren. In den Stuben der breiten, geduckten Bauernhäuser des Juras hatten die Werkbänke (établis) den besten Platz ... sie standen direkt am Fenster. In den Familien gab es bald Arbeitsteilung (Spezialisierung). Ein Familienmitglied fertigte Räder und Triebe an, ein anderes setzte die Räder auf die Wellen, und der "Rhabilleur" montierte die Teile zum fertigen Werk. 

Am Samstag war in Morez jeweils Markttag. Da verliessen die Bauern-Uhrmacher ihre Häuser in Foncine-le-Haut, Foncine-le-Bas, Bellefontaine, etc. und brachten den Unternehmern in Morez ihre Erzeugnisse. Mit neuem Rohmaterial versehen kehrten sie in ihre Dörfer zurueck. 

Man schätzt, dass zwischen 1680 und 1800 etliche Zehntausend, jedoch weniger als 100'000 Uhren in Heimarbeit hergestellt wurden. Nach 1850 konnte sich eine breitere Volksschicht solche Uhren leisten. Die Nachfrage stieg. Morez war inzwischen auf 4000 Einwohner angewachsen. In 18 Metallbearbeitungsbetrieben, Glockengiessereien und Emaillierwerkstätten wurden jetzt jährlich 60'000 Uhren und ebenso viele Zifferblätter hergestellt. Die Heimarbeit hatte sich zur gewerblichen/industriellen  Fabrikation gemausert. Qualifizierte Uhrmacher waren nur noch zum Aufsetzen der Zifferblätter und Zeiger, und zum Regulieren der Uhrwerke nötig. Die Produktion der Einzelteile erfolgte nun durch angelernte Arbeitskräfte in den Fabriken, wo mit Wasserkraft betriebene Maschinen zur Verfügung standen. 

Seitenanfang  

Wanduhr oder Bodenstanduhr? 

 Die ersten Morez-Uhren wurden - so wird angenommen - auf Transporthutten (Traggestellen) von Uhrenhändlern ausgetragen und im Hausverkauf abgesetzt. Die Besitzer waren gezwungen, sich die Gewichte beim nächsten Schmied zu besorgen, da solche zu schwer waren, um von Haus zu Haus getragen zu werden. Diese frühen Uhren standen auf Wandkonsolen oder hingen an den Wänden.

Im bäuerlichen wie im bürgerlichen Haushalt wurde das Mobiliar im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts reichhaltiger. So erschienen zu dieser Zeit Holzgehäuse zur Aufnahme von Uhr, Pendel und Gewichten. Auf Wunsch von Verkäufern und/oder Kunden gestalteten Schreiner solche Gehäuse als Einzelanfertigungen. Dazu verarbeiteten sie Holz aus der Umgebung: Eiche, Nussbaum, Kirsche oder Kastanie. Die ersten Gehäuse waren gerade, schmucklos und kantig, spätere Ausführungen mit Schnitzereien verziert, abgerundet und teilweise bombiert. Gehäuse mit einer Höhe von 250 bis 300 cm waren keine Seltenheit. Man passte sich in Form und Stil der Zeit, der Gegend und dem bereits vorhandenen Mobiliar an. Uhr und Gehäuse stammten nicht immer aus der gleichen Zeit. Ein defektes Werk konnte man ersetzen, das Gehäuse blieb dasselbe.

Bei Gehäusen für die erste und zweite Uhren-Generation waren die Pendel unsichtbar. In der dritten Generation, um das Pendel mit Linse sichtbar zu machen, erhielt die Gehäusetür eine runde Oeffnung. Lyra- und Prachtpendel der vierten Generation brachte man durch Glastüren voll zur Geltung (Bild links).
 
Einheitliche Formen entstanden erst mit der Serienfertigung von Gehäusen aus Tannenholz. Um 1860 wurde in Morez die erste für die Herstellung solcher Gehäusen spezialisierte Schreinerwerkstatt eingerichtet. Heimarbeiter bemalten deren Produkte in der Art unserer Bauernmalerei.

Emile Rosset, der Herausgeber des "Almanach du vieux Savoyard", stiess auf die Beschreibung einer solchen Familienwerkstatt: "Dort befinden sich die grossen Gehäuse in allen Stadien der Fertigung. Sie haben verschiedene Formen: schmal, dickbäuchig oder eingeschnürt; die einen noch weiss, andere schon bemalt. In diesem Raum, in dem das Essen gekocht und Lacke warm gemacht werden, herrscht ein ganz besonderer Geruch: eine Mischung aus Kohlsuppe und Terpentin. Auf einem Tisch wartet ein langes Gehäuse auf seine Bemalung. Diese wird zum Teil mit den Fingern ausgeführt und mit dem Pinsel vollendet." 

Seitenanfang  

Das Ende der Fertigung

Die grösste Blütezeit erlebte die Morez-Uhr zwischen 1860 und 1880: Damals wurden jährlich etwa 80'000 Stück hergestellt. 1900 waren es noch rund 35'000 Stück. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges stellte man die Produktion ein. Nicht allein der Krieg war schuld; schon vorher hatte die Morez-Uhr Konkurrenz zu spüren bekommen. Vor allem aber wechselte der Geschmack der Käufer. Kleinere Uhren fanden Gefallen.   


Seitenanfang    

zu UhrenH@nse    imageD4Q.JPG (751 Byte)Sammler-Ecke     imageD4Q.JPG (751 Byte)Groß-Uhren